Unsere Neutralität ist zeitlos.
Derzeit wird im öffentlichen Raum immer wieder zur “ergebnisoffenen” Diskussion über die Neutralität aufgerufen. Sie sei nicht mehr zeitgemäß und für unser selbstbewußtes und souveränes Land unwürdig. Es gibt jedoch gute Gründe, die für unsere Neutralität sprechen.
Neutralität nützt der internationalen Sicherheit
Österreich bekennt sich im Neutralitätsgesetz aus freien Stücken zur immerwährenden Neutralität. Sie ist ein Versprechen an die Weltgemeinschaft, auf Gewaltanwendung für immer zu verzichten. Das Versprechen ist an keine moralischen Bedingungen geknüpft und gilt in Zeiten des Friedens und des Krieges.
Die Neutralität ist der Einhaltung des Völkerrechts verpflichtet, das für das friedliche Zusammenleben der Staaten die Grundlage bildet. Nur so ist Neutralität ein glaubwürdiger Baustein der internationalen Sicherheit. Sie ist ein zivilisatorischer Fortschritt in vollkommener Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen und der Europäischen Sicherheitscharta, die 1999 von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beschlossen wurde. In Zeiten des Krieges ist sie eine Stimme der Vernunft.
Neutralität heißt nicht, dem internationalen Geschehen unbeteiligt zuzusehen. Es ist ihr Anliegen, vertrauensbildende Maßnahmen zu fördern und die Entstehung neuer Feindbilder zu verhindern. Sie kann in Konflikten einseitige Betrachtungen und Vorurteile hintan stellen und einen ungetrübten Blick bewahren. Das befähigt neutrale Staaten, die Hintergründe von Konflikten auszuloten, die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Akteure zu erkennen und für die Lösung von Konflikten gute Dienste anzubieten.
Es ist die Kunst einer gut geführten Neutralitätspolitik, zum richtigen Zeitpunkt der friedlichen Streitbeilegung zu dienen.
Neutralität kann schützen
Weiters wird behauptet, dass die Neutralität uns nicht schützen kann. Viele Österreicher würden noch immer glauben wir könnten uns aus allen militärischen Konflikten heraushalten.
Die neutrale Schweiz konnte ihre staatliche Unversehrtheit immerhin bereits 200 Jahre lang erhalten. Dafür gibt es drei Gründe. Erstens liegt die Schweiz in einem geostrategischen Raum, der für Kriege in Europa von geringer Bedeutung ist. Zweitens hat sie sich auf die Verteidigung ihrer Neutralität mit allen zu Gebote stehenden Mitteln vorbereitet. Drittens war die Schweiz auf vielen Gebieten für die internationale Gemeinschaft nützlich, sei es durch das Internationale Rote Kreuz (IKRK), den Sitz internationaler Organisationen, die humanitäre Hilfe und die glaubwürdige Neutralitätspolitik.
Österreich braucht diesen Vergleich mit der Schweiz nicht scheuen - Österreich ist ebenfalls Sitz zahlreicher internationaler Organisationen. Das langjährige militärische Engagement Österreichs im Rahmen der UN-Friedenssicherung, das 1988 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, fällt zusätzlich ins Gewicht.
In der Verteidigung unseres Landes hinken wir der Schweiz allerdings hinterher. Da sollten wir uns an den militärischen Fähigkeiten der Schweiz ein Beispiel nehmen.
In den Medien liest man derzeit, dass Finnland und Schweden Österreich bereits sicherheitspolitisch überholt hätten. Diese Behauptung geht davon aus, dass Österreich in der NATO sicherer wäre. Diese beiden Länder sind aber in einer anderen Lage. Ein Landkrieg mit Russland würde vor allem Nordeuropa treffen. Demgegenüber ist Österreich in einer geostrategisch günstigen Lage.
Die Chancen sich aus einem Krieg herauszuhalten sind für Österreich sehr hoch. Hingegen wäre Österreich als Mitglied der NATO im Falle eines Angriffes auf ein NATO-Land automatisch Kriegspartei. Es wäre somit ein legitimes Ziel für russische Angriffe mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen, um Waffenlieferungen der NATO durch Zerstörung der Transportinfrastruktur zu unterbinden.
Ein Beitritt zur NATO bringt keinen Sicherheitsgewinn für Österreich, sonder eher ein erhöhtes Risiko in einen militärischen Konflikt hineingezogen zu werden.
Die überwiegende Zahl der Gefahren ist laut Analysen des Bundesministeriums für Landesverteidigung, die elektronisch öffentlich zugänglich sind, nicht militärischer Natur und berührt die Neutralität nicht. Wie Österreich militärische Bedrohungen einschätzt und wie sie diesen begegnet, liegt in seiner Eigenverantwortung. Als neutraler Staat ist es allerdings verpflichtet, seine Verteidigung so zu gestalten, dass sein Territorium und Luftraum von keiner Kriegspartei genutzt werden kann.
Neutralität in der EU
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist das Bestreben der EU, möglichst mit einer Stimme zu sprechen. Österreich hat deshalb seine Verfassung geändert, um an den Maßnahmen der GASP, unter Wahrung der Grundsätze der Vereinten Nationen, teilnehmen zu können.
Die GASP soll der EU entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stärke politisches Gewicht als Friedens- und Handelsmacht verleihen. Dieser Gründungsgedanke ist mittlerweile leider verloren gegangen. Die GASP, die ausschließlich den Interessen der EU dienen soll, wurde 2013 - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) an die NATO gebunden.
Damals hat der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen festgehalten, dass sich die GSVP in vollständiger Komplementarität zur NATO weiterentwickeln wird. Die „NATO neu“ will im Einklang mit der amerikanischen Sicherheitsstrategie auf Bedrohungen weltweit reagieren. Solange das so bleibt wird es dem Geschick unserer Außenpolitik obliegen, gravierende Beschränkungen unserer Neutralität im Rahmen der GASP und der GSVP, möglichst hintan zu halten.
Die angestrebte Abschaffung der Einstimmigkeit in der GASP muss von Österreich jedenfalls abgelehnt werden, da sie jeglichen Handlungsspielraum für die Neutralität beenden würde.
Der Frieden ist das Ziel
Die Erkenntnis, dass ein stabiler Frieden in Europa nur unter Einbeziehung Russlands möglich ist, hat sich durch den Krieg in der Ukraine nicht geändert. Es kann nicht im Interesse Europas liegen, Russland als ewigen Feind zu betrachten und in die Arme Chinas zu treiben.
Immerhin ist der Wohlstand in Europa, gerade in Deutschland und Österreich, mit billiger Energie aus Russland aufgebaut worden. Wer diese Ressource abschneidet riskiert eine Verarmung Europas, da niedrige Energiepreise der wichtigste Faktor für den Wohlstand einer Gesellschaft sind.
Nach Beendigung des Krieges in der Ukraine wird eine grundlegende Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur erforderlich werden. Eine unabhängige EU könnte mit den USA und Russland eine strategische Triade bilden, die einen Friedensraum von San Francisco bis Wladiwostok schaffen würde.
In diesem Sinne könnte Österreich als Sitzstaat der OSZE eine Initiative für eine Wiener Friedenskonferenz ergreifen. Die OSZE ist eine auf Vertrauensbildung aufgebaute europäische Erfindung der kooperativen Sicherheit, deren Rahmen für die Verhandlung einer künftigen stabilen Sicherheitsarchitektur bestens geeignet ist.
Es ist im Interesse Europas die Errungenschaften der OSZE wieder zu beleben und sie als Fundament der europäischen Sicherheit zu nutzen. Österreich kann als neutraler Staat für den Frieden in Europa mit diplomatischen Initiativen mehr tun, als wenn es nur ein weiteres militärisches Mitglied der NATO wäre.
Die Neutralität Österreichs ist ein guter Weg in die Zukunft, wenn sie als Weg des Friedens mit Überzeugung und Stolz glaubwürdig gelebt wird.